Arzt-Geschichten (3): noch ein Hausarzt

Sie wollen abnehmen? Dann hab‘ ich einen Geheimtip für Sie: Lassen Sie sich scheiden! Zetteln Sie einen Rosenkrieg an, bei dem Sie alle zwei Wochen einen fünfzigseitigen Schriftsatz vom gegnerischen Anwalt im Briefkasten haben, in dem alles, was in Ihrer Ehe mal eine Bedeutung hatte, auf gemeinste Weise verdreht und verzerrt wird. 

Dann sind Sie nach kurzer Zeit 10 Kilo leichter. So war es bei mir. Allerdings erkaufen Sie den Gewichtsverlust mit Schlaflosigkeit und einem zerrütteten Nervenkostüm, das Ihnen ein normales Leben nahezu unmöglich macht. Aber zum Glück gibt es Ärzte, die wissen, was gut für uns ist! 

Vor rund zehn Jahren begab sich folgendes in meinem Leben. Am Rande des Nervenzusammenbruchs ging ich zu einem Allgemeinarzt. Der hatte den großen Vorteil, daß seine Praxis im selben Haus war, in dem ich damals gearbeitet habe. Meine dämlichen Entscheidungskriterien waren keine Anfahrt und keine tote Zeit im Wartezimmer, da ich von der Sprechstundenhilfe im Büro angerufen wurde und nur schnell einen Stock tiefer gegen mußte. 

Nach etwa 85 Sekunden Gespräch, in dem ich begann, meinen Zustand zu schildern, kam der Wundersatz, den Ärzte so gut beherrschen: „Ich hab‘ da was für sie“. Sprach’s, zückte seinen Rezeptblock, und verschrieb mir was ganz Leichtes. Damit kommen sie zur Ruhe und können wieder schlafen. Nehmen sie eine Tablette, bevor sie ins Bett gehen“. 

Was hatte der „Onkel Doktor“ für mich? Das Anti-Depressivum „Mirtazapin“. 

Als ich am Abend dieses Tages die Tablette aus der Folie drückte, hatte ich kein gutes Gefühl. Ich nahm deshalb nur eine halbe. Und diese halbe hat mich eine ganze Woche lang abgeschossen! Ich schlief zwar ein, doch nichts von dem, wozu Schlaf da ist, fand statt. Es war nur eine dumpfe qualvolle Betäubung. Keine Erholung, keine Erfrischung, keine Belebung. Ein grauenvoller Zombie-Zustand. 

Vor dieser halben Tablette war ICH schlaflos, unkonzentriert, fahrig, angespannt. Mit dieser Tablette hatte ich das Gefühl, etwas FREMDES ist in mir und treibt da sein Unwesen; ich fühlte mich fremdgesteuert, ausgeliefert und emotional-geistig vergewaltigt. 

Am Morgen hatte ich große Mühen, wach zu werden und zur Arbeit zu kommen. Während der Fahrt ins Büro wäre ich fast am Steuer eingeschlafen. Im Büro bin ich am Schreibtisch tatsächlich eingeschlafen. Als Geschäftsführer hatte ich ein eigenes Zimmer, da ging das. 

An mir bewahrheitete sich der kluge Satz des kanadischen Arztes Sir William Osler, der als „der bedeutendste Mediziner im englischsprachigen Raum um die Wende zum 20. Jahrhundert“ gilt: „Wer ein Medikament einnimmt, muß zweifach genesen: erstens von der Krankheit und zweitens vom Medikament“. 

Erst nach einer Woche fühlte ich mich wieder sauber und giftfrei und konnte wieder klar denken. Das war das erste und letzte Mal, daß ich ein Psychopharmakon eingenommen habe. 

Was hat geholfen? 

Homöopathie. Also die Methode, die gerade deshalb wirkt, weil sie ohne Wirk-Stoff arbeitet, was ihre Kritiker bis heute nicht begriffen haben. Da wird immer wieder aufs neue etwas „widerlegt“, was nie jemand behauptet hat. 

Meine Homöopathin ist mindestens so verrückt wie ich. Da sie hier mitliest, sei mir ein kurzer Gruß an sie gestattet: Hallo, Michaela! – Wenn ich zu ihr gehe, sagt sie nie „Ich hab‘ da was für dich“ (wir duzen uns), denn ich suche mir mein Mittel immer selbst aus. 

Dabei kommen manchmal Sachen raus, die gemäß Homöopathie-Lehrbuch überhaupt nicht passen. Da kann es passieren, daß ich bei etwas lande, das normalerweise bei Menstruationsbeschwerden genommen wird. Sei’s drum … 

Wir beide, meine Homöopathin und ich, vertrauen der Weisheit meines Systems (der Einheit aus Körper, Geist und Seele) und spielen deshalb unser Spiel, das folgendermaßen abläuft: Ich erzähle, was mit mir los ist – und das dauert in der Regel länger als 85 Sekunden. Währenddessen blättert sie in ihrem Repertorium, macht sich Notizen, grinst mich frech an, streut kesse Kommentare ein, schüttelt ungläubig den Kopf und macht eine Bemerkung zu irgendeinem aktuellen Wahnsinn der Tagespolitik. Dann lästern wir ein Weilchen gemeinsam über Politiker X und Politikerin Y. Kurzum: Wir haben’s immer lustig. 

Schließlich lege ich mich auf die Behandlungsliege und schließe die Augen. Sie geht zu ihrem Globuli-Schrank und holt einige Röhrchen heraus. Zum einen die „orthodoxen“ Mittel, die in so einem Fall in der Regel gegeben werden, zum anderen die „durchgeknallten“, die sie, irgendeiner Eingebung folgend, dazunimmt. 

Sie gibt mir ein Röhrchen nach dem anderen in die Hand, ohne daß ich weiß, was es ist. Ich nehme einfach nur wahr, was das Mittel mit mir macht. 

Kaum habe ich es in der Hand, sind meine Reaktionen darauf spannender als jede Netflix- Serie: Mir wird kalt oder schwindlig, ich bekomme einen Druck auf der Brust oder Kopfweh, ich meine grell zu leuchten oder zu rotieren wie ein Spiralnebel oder zerquetscht zu werden, werde ganz wirr im Kopf oder ganz klar, als durchbreche die Sonne den Morgennebel. 

In jedem Fall bekomme ich ein eindeutiges Signal, was schlecht für mich ist und was gut. 

Das ist Maßarbeit statt „Ich hab‘ da was für sie“. Mein Mittel – für meine Situation – von mir gewählt! Homöopathie von der Stange ist ebenso übergriffig wie Standard-Medizin von der Stange und auch nur eine Variante von „The doctor knows best“; mithin eine Form von enteigneter Gesundheit durch allwissende „Experten“, was leider bis heute die Grundlage unseres Medizinsystems ist. 

Gelandet bin ich damals bei Aurum metallicum. Als ich das in die Hand bekam, hatte ich das Gefühl zu schweben. Es war sensationell! Ich wollte es gar nicht mehr loslassen, einfach nur weiterschweben  

Später las ich in Philip Baileys „Psychologischer Homöopathie“ folgendes zu Aurum: „Wie das Gold, aus dem die Arnzei hergestellt wird, ist der Aurum-Mensch von einer großen Schwere umgeben. Zu den schönsten Erfahrungen bei der Behandlung von Aurum-Fällen gehört es, wenn man sieht, daß etwas Leichtigkeit in ihr Leben kommt.“ Volltreffer! Mein System wußte genau, was es wahrnahm und brauchte. 

Ich nahm gleich etwas Aurum metallicum – eine Hochpotenz, ich weiß aber nicht mehr, welche. Und nach kurzer Zeit war ich durch, war wieder in der Lage, mit meinem Leben zurechtzukommen. 

Hinzu kam noch ein Satz, ein heilender Satz, den ich kurz darauf bei einem Vortrag von Lama Ole Nydahl hörte, einem Dänen, der seit Jahrzehnten den Menschen im Westen den Diamantweg-Buddhismus nahe bringt, und den ich ohne das Aurum nicht verstanden hätte. Da bin ich mir sicher. 

Mit sanfter leiser Stimme sagte Lama Ole zu einer ratsuchenden Zuhörerin, die von erbitterten Erbstreitigkeiten unter Geschwistern berichtete, folgendes: 

Lama Ole: „Willst Du diesen Krieg?“ Sie: „Nein.“
Lama Ole: „Dann laß es.“ 

Banaler geht es nicht. Und doch stockte den tausend Menschen im Saal der Atem. Denn jeder spürte und begriff: Wahrer geht es nicht! Mein Leben war nach diesem Satz ein anderes. Ich ließ es! – und beendete den Scheidungskrieg. Auf nur vier Seiten Scheidungsfolgenvereinbarung regelten wir gemeinsam alles, was nötig war. Durch uns wurde kein Anwalt reich. 

Meine erste Scheidung rund zehn Jahre zuvor war traumatisch und katastrophal. Bei dieser, der zweiten, fragte der Richter beim Scheidungstermin verdutzt: „Sind sie hier, um sich scheiden zu lassen – oder wollen sie heiraten?“, weil wir so heiter und harmonisch gestimmt waren. Mit Mirtazapin wäre das nicht möglich gewesen.