So finden Sie Ihre wichtigste Baustelle

Unerledigte seelische Angelegenheiten fressen ständig Energie und Lebensfreude, ohne daß wir es bewußt merken. Das können wir ändern.

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  • „Ich hatte eine glückliche Kindheit.“
  • „Ich hab meine Scheidung gut verarbeitet.“
  • „Ich hab den Kontakt zu meinen Eltern abgebrochen und komme damit gut zurecht.“

Kennen Sie Menschen, die sowas oder Ähnliches von sich behaupten? Sagen Sie das eine oder andere womöglich selbst?

Dann machen Sie mal ein kleines, ganz harmlos daherkommendes Experiment. Und ich verspreche Ihnen: Sie werden staunen.

Nahezu jeder von uns hat eine große Portion unfinished businessunerledigte Angelegenheiten –, wie der Psychologe und Gründer der Gestalttherapie Fritz Perls es nennt. Diese Angelegenheiten sind voller Schmerz und Leid – und wir haben sie mit den Stempeln nicht wichtig und nicht dringend versehen und ganz hinten in unserer Seelen-Abstellkammer deponiert.

Da setzen sie nun Staub an. Und fressen ständig Energie und Lebensfreude, ohne daß wir es bewußt merken.

Ob die unerledigten Angelegenheiten wirklich „nicht wichtig“ und „nicht dringend“ sind, können Sie verblüffend leicht feststellen. Damit sind wir beim Experiment:

Setzen Sie sich bequem in einen Sessel, schließen Sie die Augen, atmen Sie ein paar Mal ruhig und tief ein und aus und stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie liegen in einem Bett im Krankenhaus, Sie haben keine Schmerzen – und Sie wissen, daß Sie in wenigen Stunden sterben werden.

Sie blicken auf – und sehen Ihre Mutter vor Ihnen am Bett stehen. Sehen Sie ihr ins Gesicht. Da ist so viel Nicht-Gesagtes zwischen Ihnen! Spüren Sie die Präsenz all dessen, was Sie sich nie gesagt haben. All die Gefühle und Gedanken, die sie beide niemals ausgedrückt haben. Wenn Ihre Mutter Ihnen jemals zuhört, dann jetzt. Reden Sie mit ihr. Erzählen Sie ihr, wie es war, ihr Sohn oder ihre Tochter zu sein.

Nehmen Sie nun wahr, was in Ihnen vorgeht: Spannt sich etwas an? Wird Ihnen kalt oder heiß? Stockt Ihnen der Atem? Kribbelt es irgendwo? Ballen Sie die Fäuste? Rutschen Sie unruhig auf dem Sessel hin und her? Bildet sich ein Kloß im Hals? Spannen sich Ihre Kiefermuskeln an? Werden Sie wütend oder traurig? Möchten Sie aufspringen? Sticht es in ihrem Herzen? Kommen Ihnen die Tränen? Fühlen Sie sich ohnmächtig?

Und vor allem: Was sagen Sie zu Ihrer Mutter? Sprechen Sie es aus. Laut!

Diese Übung sollten Sie mit beiden Eltern machen – erst den einen Elternteil, dann den anderen. Und mit allen anderen wichtigen Menschen in ihrem Leben: Großeltern, Geschwistern, Partnern, Kindern, Freunden …

Achten Sie darauf, wie die seelische Taubheit in Ihnen sich löst. Wie emotionale Regionen in Ihnen wieder durchblutet werden, die Sie gar nicht mehr wahrgenommen haben, weil sie abgestorben schienen.

Und spüren Sie, wie sich, wenn Sie in Kontakt mit dem alten Schmerz kommen, neue Perspektiven eröffnen und eine wohltuend frische Lebendigkeit, Leichtigkeit und Freiheit sie erfüllen.

Der alte, nicht bewußt wahrgenommene Schmerz verliert seine Macht über Sie. Sie sind nicht mehr der Gefangene all der Dinge, mit denen Sie sich nicht befassen wollten, weil sie so weh tun, die aber trotzdem da waren, wirkten und ihre Leben prägten. Nun kann Heilung beginnen.

18. Juni 2023