Die Nippeshändler Tolle & Co.

Wir alle sind erleuchtet. Schon immer. Nur merken wir es meist nicht. Nicht zuletzt wegen der „spirituellen Lehrer“.

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Wir Menschen der westlichen Hemisphäre mit unserem Monderobererhochmut lechzen nach „Spiritualität“, damit wir nicht im Netflix/Facebook/Instagram-Sumpf jämmerlich ersaufen. Diese verzweifelte Nachfrage bringt das zu ihr passende Angebot hervor: Eckhart Tolle, Maxim Mankevich, Dieter Lange und wie sie alle heißen, die uns mit ihren Büchern, ihren Seminaren und ihrem Speakertum fluten. 

Als ich vor einigen Jahren ein Seminar mit Eckhart Tolle buchen wollte, bestand das Veranstaltungs-Hotel darauf, daß ich auch im Hotel übernachte – ich hätte privat in der Nähe wohnen können –, und es bestand auf Vorauszahlung sämtlicher Kosten, und das ein halbes Jahr vor der Veranstaltung. Beides sei ausdrücklicher Wunsch von Herrn Tolle. 

Mein Hinweis, es gehe um „The Power of Now“, nicht um „The Power of Vorkasse“ fruchtete nichts. Also buchte ich nicht und legte Eckhart T. für mich im Ordner „Beutelschneider“ ab. Da liegt er bis heute gut. Später habe ich ihn auch noch bei „Feigling“ einsortiert, denn den Charaktertest der Jahre ab 2020 hat er nicht bestanden … 

Muß man, wenn man wie Dieter Lange ein weltweit angesehener Toptrainer und Coachist und das Wesen der Welt und des Lebens ein für alle mal erkannt hat, E-Mails folgenden Inhaltes und Tones verschicken: „Jetzt noch den Early Bird Preis sichern. Nur noch bis heute 23.59 Uhr 79 € statt 199 €“? 

Lange lehrt in einer „Seminar“ genannten Riesen-Veranstaltung 2.000 Menschen in einem Rutsch „maßgeschneiderte Strategien für deinen Alltag“. Genau dasselbe „Maßgeschneiderte“ hat er schon Tausenden anderen erzählt. Das ist Massenproduktion für die Stange. Das Wort „maßgeschneidert“ dafür ist – höflich formuliert – eine Frechheit von Schamanen-Dieter. 

Angesichts der Misere solcher „spirituellen Lehrer“ ist es ein erfrischendes Vergnügen, wenn jemand laut ruft: „Der Kaiser ist nackt“. Der Schweizer Daniel Odier ist dieser Jemand. Die Bekanntschaft mit seinem großartigen Buch „Die Ekstase des Herzens“ verdanke ich Markus Ruppert, bei dem ich kürzlich einen Workshop zum Meridian-Qi-Gong erleben durfte. 

Rupperts bis in die letzte Körperzelle wirkendes Erlebbarmachen dessen, worauf es ankommt, hat bei mir mehr bewegt und belebt als alle Tolle-Bücher und -Videos zusammen und im Quadrat genommen. Tolle ist Marketing Ruppert ist Leben. 

Daniel Odier eröffnet sein Buch mit dem schönsten aller Buddha-Zitate: „Zweifelt an allem, vor allem an dem, was ich euch sage“. Denn auch die Stimme Buddhas kommt von außen – ist also nicht die Stimme, auf die es ankommt: unsere eigene. 

Es gibt keine bessere Oster-Botschaft als die Daniel Odiers, denn es geht um Auferstehung unsere eigene Auferstehung. Die können wir jederzeit selbst auf den Weg bringen. Es braucht keinen „Gott“ dafür. Lassen wir Odier den Lobpreis unserer Körper singen – hier einige Zitate aus seinem Buch „Die Ekstase des Herzens“:

„Sie sind ihr Körper, aber er ist nicht sie, er ist die Ganzheit. Sich des Körpers gewahr zu werden, heißt, sich der Ganzheit gewahr zu werden. 

Jeder hat das vollkommene Verstehen, aber es ist unbewußt. Jeder Mensch trägt in sich ein unwandelbares Juwel, aber, von Unsicherheit gepackt, sucht er außen und verscherbelt seinen Rubin des Herzens gegen eine falsche Perlenkette. Dieses eingeborene Wissen verheimlichen die Kleinmeister, denn mit Nippes-Handel verdienen sie ihr Geld. 

Buddha, das sind sie, das bin ich, das ist die tiefe Natur unseres eigenen Geistes. Wenn sie sich nicht trauen, die Meister in Frage zu stellen, wo finden sie Freiheit? 

Sexismus ist nicht nur dem Buddhismus eigen, man findet ihn in allen religiösen Ausrichtungen. Überall sehe ich nichts als die große Vergewaltigung der Frauen. Man untersagt ihnen den Zugang zum Heiligsten, man isoliert sie, man verschleiert sie, man beschneidet sie. Bittet man nicht in vielen spirituellen Zentren die Frauen direkt oder indirekt, ihre Weiblichkeit zu verbergen? Nicht-existierend hat man sie am liebsten. Man könnte glauben, die Männer seien außerhalb eines Frauenkörpers geboren.

Mich interessiert Spontaneität mehr als Perfektion. Eine Lehre ohne Widersprüche ist die schlimmste aller Fallen, denn sie schafft mentale Anhaftung, Abkapselung und Fanatismus. 

Hören sie auf, sich zu verkneifen, menschlich zu sein, das heißt, überragend oder mittelmäßig, je nach Gelegenheit. Nichts stumpft mehr ab, als diese große, künstliche Stille, die Furcht, Zweifel und Auflehnung auszudrücken. 

Ich kenne keinen Weisen, der sich nicht empört über die Pseudo-Meister im Tiefschlaf, die genießen, daß sie ein bißchen Berühmtheit erlangt haben, indem sie die Menschheit verblöden. Die sind nicht empört. Sie haben zu viel Angst. Das Natürliche ist ihnen seit langem abhanden gekommen. 

Vertrauen sie ihrem Körper, und sie werden entdecken, daß es einzig das organische Leben gibt. Ihr Körper ist bereits jetzt das vollkommene Verstehen, das Unendliche, die Ganzheit. Der Rest ist nur religiöse Propaganda, die allein dazu dient, die Menschen abzustumpfen und zu beherrschen. Der einfache Weg zum Körper wird nicht gelehrt, weil er die Macht verunmöglicht. 

Es gibt keinen anderen Tempel als den Körper. Die Erwachten verbrachten ihre Zeit in der Gegenwart, mit der Vereinigung der Körper und mit dem Genuß der vielfältigsten Vergnügungen. Kein Verbot, keine Einschränkung. Es gibt keine rituelle Beschränkung, keine äußere Praxis. Dein Körper ist allwissend. Höre auf ihn. 

Es genügt, sein eigenes Herz zu durchdringen, um auf der Stelle befreit zu sein. Im Spiel inmitten der Wirklichkeit offenbart sich das Absolute. Unser Körper enthält die Ganzheit der Welten, er ist unendliche Weite. Er ist unbegrenzte Weisheit, tiefer Frieden und unerschöpfliche Freude. In ihm geben sich unbegrenzter Raum und innere Freiheit gemeinsamen Liebesspielen hin. 

Das geistige Leben ist der mißgestaltete Nachkomme eines kranken, isolierten und unbewußten Körpers. Es ist eine riesige Täuschung, die den Menschen dazu bringt, außerhalb von sich selbst zu suchen, was im Innersten seines Leibes immer vorhanden gewesen ist. Das Mentale findet nur Probleme, Trennungen und ungelöste Fragen. Es soll nur den Körper fragen – und das Rätsel löst sich sofort. 

Nehmen Sie zum Beispiel den Bereich der Ästhetik: Sie hören einen Musiker oder sehen ein Gemälde. Ihre Sinne übermitteln ihrem Körper die Wirkung der Schönheit direkt, und sofort verändert sich ihre Körperchemie. Milliarden von Zellen beginnen zu vibririeren und zu kommunizieren. Sie werden durchströmt, und während einiger Sekunden sind sie äußerst lebhaft. 

Dann tritt das Mentale in Erscheinung, als ob es, nachdem es diese Ekstase beobachtet hat, von Eifersucht gepackt versuchen wollte, wieder alles an sich zu ziehen. Die Zartheit der Empfindung verschwimmt, es kommt zur Zersplitterung. Ihr Denken stellt ihnen die Frage: Ist das besser als das letzte Gefühl dieser Art? Ist es lang genug, tief genug, kurz genug, intensiv genug? 

Das Mentale weckt den Aspekt in ihnen, dem es an Liebe, Vertrauen, körperlichem Kontakt und Aufmerksamkeit gefehlt hat. Die Angst nistet sich ein, ihr gesamtes System wird gelähmt. Sie schließen daraus, daß es Leiden verursacht, sich den Emotionen hinzugeben. 

Sobald wir mental eingreifen, gehen wir aus dem Gnadenzustand heraus, wo die Emotionen frei fließen, aufeinander folgen und sich in einem unendlichen Raum entfalten – nämlich in dem unseres Körpers. Nur die Nichtberücksichtigung des organischen Lebens führt uns zum Leiden.“

31. März 2024