Arzt-Geschichten (4): vier Experten, null Treffer

Diesmal sind es gleich vier Medizin-Experten, die mir – nicht – geholfen haben, weil sie es nicht konnten. Ein Hausarzt, ein Orthopäde, ein Neurologe und ein Radiologe. Doch der Reihe nach. Was trieb mich zu ihnen? 

Ein fieses Stechen im rechten Fuß. Immer nachts, kaum daß ich eingeschlafen war, hatte ich das Gefühl, jemand ramme mir eine lange Nadel in die Außenseite meines rechten Fußes. Wenn ich, weil es nicht auszuhalten und weil an Schlaf nicht zu denken war, aufgestanden und umhergelaufen bin, verschwand das Stechen wieder. Das war vor gut 20 Jahren, ich war Anfang Vierzig. 

Also auf zum Arzt – der ist ja dafür da, bei sowas zu helfen. Erste Station: Hausarzt. Er ist ratlos. Diagnose: keine. Hilfe: keine. Statt dessen Überweisung zum Orthopäden. Bei diesem dasselbe Spiel – weder Diagnose noch Hilfe –, nur ergänzt durch einige Apparate, die zur Nicht-Diagnose benutzt wurden. Überweisung zum Neurologen. 

Mittlerweile waren zwei Wochen vergangen. Zwei Wochen ohne auch nur eine Nacht, in der ich schlafen konnte. Ich war erschöpft und übermüdet. Also mit der Überweisung auf zum Neurologen. Schicke Praxis, noch mehr Geräte – und: keine Diagnose, keine Hilfe. Überweisung zum Radiologen für eine Computertomographie. Der Termin zwei Wochen in der Zukunft. Also weitere zwei Wochen nächtliche Folter. 

Radiologen sind die am besten verdienenden Ärzte. Und zugleich die, die am wenigsten am Menschen dran sind. Sie drücken nur Knöpfe – ein bedenkenswerter Zusammenhang … 

Der Radiologe erläuterte: „Wenn ich mir ihre Aufnahme ansehe, müßten sie starke Schmerzen im Lendenwirbelbereich haben“. Tja, damit konnte ich nicht dienen. Die hatte ich noch nie – und hab’ sie bis heute nicht. So viel zur Aussagekraft der Methode namens CT für mich. 

Zu den Beschwerden, die mich zu ihm geführt haben, konnte der Radiologe nichts sagen. Wichtig: Er hat nur auf die Aufnahme geschaut, aber nicht auf das gehört, was ich gesagt habe – genau wie die drei anderen Kollegen. Auch hier: keine Diagnose, keine Hilfe. 

Der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung hat die negative Seite der Verwissenschaftlichung unseres Lebens, die ich an vier Ärzten erfahren durfte, schon 1957 als große Gefahr erkannt: „Unter dem Einfluß wissenschaftlicher Annahmen erleidet nicht nur die Psyche, sondern auch der einzelne Mensch und überhaupt alle Einzelereignisse eine Nivellierung nach unten und einen Verwischungsprozeß, der das Bild der Wirklichkeit zu einem begrifflichen Durchschnitt verzerrt. Man sollte die psychologische Wirkung des statistischen Weltbildes nicht unterschätzen: Es verdrängt das Individuum zugunsten von anonymen Einheiten, die sich zu Massengebilden auftürmen. Das beraubt das Individuum seiner Würde.“ 

So fühlte ich mich: meiner Würde beraubt. Ein Objekt von Diagnose-Maschinen, die keine Diagnose erstellen konnten – und schon gar keine Therapie. Ich stand nach vier Wochen und vier Ärzten immer noch Regen: von Schmerzen gepeinigt, ohne Schlaf, ohne Erholung. Mit einem Wort: verzweifelt. 

Wer hat geholfen? 

Vier staatlich geprüfte Medizin-Experten verschiedener Fachrichtungen mit großem Gerätepark waren nicht in der Lage, auch nur eine Diagnose zu stellen. Vier staatlich geprüfte Medizin- Experten haben nicht genau hingehört. Vier staatlich geprüfte Medizin-Experten konnten mir nicht helfen. 

Wer hat mir geholfen? Mein Osteopath. Damals war ich noch zu dumm, gleich zu ihm zu gehen, ohne den sinnlosen Umweg über die Arztschleife. Die Medizinbetriebs-Propaganda wirkte noch bei mir … 

Geholfen hat mir mein Osteopath nur mit seinen Händen. Doch zuerst mit seinen Ohren. Denn er war der einzige, der hellhörig wurde, als ich sagte, daß die Schmerzen nach dem Zur-Ruhe- Kommen auftauchen und wieder verschwinden, sobald ich aufstehe und mich bewege. 

„Dann hat es was mit der Durchblutung zu tun“, war seine Schlußfolgerung, und er machte sich gleich an meinem Unterleib zu schaffen. Tief innen verläuft der Psoas, der Beugemuskel in der Hüfte; den hat er bearbeitet. Kaum drückte er den Muskel, jaulte ich auf, denn es war
sehr schmerzhaft. 

Nach zwanzig Minuten wurde es plötzlich ganz heiß in meinem rechten Fuß – die Arterie, die den Fuß versorgt, war wieder frei. Das war des Rätsels Lösung: Der verspannte Psoas-Muskel drückte auf die Beinarterie. 

Wenn ich in Bewegung und der Kreislauf aktiv war, schaffte es das Blut durch die Engstelle zum Fuß hinab. Sobald ich lag und zur Ruhe kam, erreichte nicht mehr genügend Blut den Fuß – und der rief um Hilfe, in seiner Sprache: mit Schmerzen. Der Schmerz ist unser Freund, denn er zeigt uns, daß etwas im argen liegt. 

In nur einer Sitzung stellte mein Osteopath die Diagnose und brachte die Heilung in Gang. „Wer ko, der ko“, heißt es in Bayern … 

Zudem zeigte er mir einige einfache Griffe, wie ich meinen Psoas-Muskel selbst entkrampfen konnte, so daß ich ihn, den Osteopathen, dafür nicht mehr brauchte. Bis heute hat sich das bewährt. 

Muß ich erwähnen, daß meine Krankenkasse die hohen Gerätepark-Kosten der vier Ärzte übernommen hat, ich die 95 Euro für den Osteopathen – den einzigen, der mir geholfen hat – aber aus eigener Tasche bezahlen mußte?