Wie ich (fast) zum Genie wurde …
Was ich auf Maxim Mankevichs „Genius-Workshop“ erlebt habe. Genial war es nicht. Dafür ein erschreckendes Lehrstück in Massenpsychologie.
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Als Kind wollte ich Pilot werden, als Jugendlicher Film-Regisseur (in der Nachfolge Jean-Luc Godards), als Philosophie-Student war dann Genie mein Lebensziel. Was sonst? Daraus wurde nichts. Doch jetzt hat sich mir die Genie-Laufbahn nochmal aufgetan, durch Maxim Mankevich, den Betreiber der „Genie-Akademie“ – und ich hab’ die Chance ergriffen.
Es wurde ein Griff ins … Doch der Reihe nach. Von Menschen, denen ich vertraue, wurde mir der „Genius-Workshop“ mit Maxim Mankevich angepriesen. Es sei eine großartige Inspiration, eine Chance, das Genie in mir zu wecken. Gut dreißig Jahre nachdem ich mein Lebenziel „Genie“ aufgegeben hatte, bot sich mir diese Gelegenheit – und das auch noch zum Super-Sonderpreis von 28 Euro.
Ich hatte den Namen Maxim Mankevich nie zuvor gehört. Doch ich war neugierig und dachte mir: Da erlebe ich mal so einen Top-Speaker-Trainer-Coach leibhaftig. Also hab’ ich gebucht, auch wenn das Ganze am Ende der Welt, in Montabaur im Westerwald, stattfand. Für mich ist alles nördlich des Limes Barbaren-Land („Hic sunt leones“, wie es auf alten Landkarten heißt). Aber für meine späte Geniewerdung nahm ich das in Kauf.
Höchstes Lob von den Kollegen
Nahezu jeder, dem ich von dem Workshop erzählte, kannte Mankevich – sein Buch, seine Videos, seinen Instagram-Kanal – und beneidete mich um meine Audienz. Auch die Coach-Trainer-Speaker-Fachwelt ist sich einig, was Mankevich angeht:
- „Nur die allerwenigsten Menschen erreichen das, was Maxim erreicht hat.“ (John Strelecky)
- „Maxim ist ein Segen für jeden, der das Glück hat, ihm zu begegnen.“ (Kurt Tepperwein)
- „Maxim repräsentiert für mich eine in der Trainerszene seltene Kombination aus Kompetenz, Herz und Integrität.“ (Veit Lindau)
- „Er ist klug, aber auch weise. Beeindruckend. Inspirierend. Genial!“ (Dieter „Schamanen haben mir gesagt“ Lange)
Folgendes Programm für Montabaur verkündete mir Mankevich per E-Mail in seinem „Genieletter“:
- Verbinde Dich mit Deiner Seelenkraft. Werde kraftvoller, intuitiver & gelassener.
- Genialität: Lerne die Macht Deines Unterbewusstseins anzuzapfen.
- Stärke Dein Urvertrauen, und gehe selbstbewusst Deinen Weg!
- Erlange Tools für Deine persönliche und berufliche Meisterschaft.
- Lerne klüger zu kommunizieren. Erfahre die besten Strategien für mehr Charisma & Sympathie.
Auf all das war ich nun, in der dritten Reihe im Veranstaltungshaus „Mons Tabor“ in Montabaur sitzend, gespannt. Dann betrat Maxim Mankevich die Bühne – und bei mir geschah: nichts.
Milchgesicht ohne Präsenz
Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als ich im Juni 1983 David Bowie in der Freilichtbühne Bad Segeberg gesehen habe. Ich war weit hinten und oben, sah die Personen auf der Bühne nur als winzige Figuren. Doch als ein kleiner Blonder im weißen Anzug auf die Bühne kam – Bowie! –, war die Welt schlagartig eine andere: die Luft elektrisch, das Leben schön, alles gut. Damals begriff ich, was „Bühnenpräsenz“ bedeutet.
So war es auch bei Miles Davis und Bob Dylan, bei Nikolaus Harnoncourt, Yehudi Menuhin und Claudio Arrau, als ich die auf der Bühne erlebte. Doch mit Maxim Mankevich, der zum Greifen nah vor mir auf der Bühne stand, kam nur ein Bubi auf die Bühne, ein Milchgesicht.
Wie will jemand „Strategien für mehr Charisma“ vermitteln, wenn er selbst keinen Funken Präsenz und kein Gramm Charisma hat? Also strich ich im Geiste den Tagesordnungspunkt „Charisma“, es blieben ja noch genügend andere übrig, z.B. Seelenkraft und vor allem die Genialität, wegen der ich ja in erster Linie da war.
Das hätte eventuell was werden können – wenn Mankevich geschwiegen hätte. Doch er hat gesprochen. Das hätte er nicht tun sollen. Denn alles, was er von sich gab, wirkte wie gestern frisch bei Wikipedia angelesen. Auf solches Fastfood-„Wissen“ sind Speaker-Trainer-Coaches ja besonders stolz …
Mankevich servierte eine lauwarme Vorspeisenplatte aus Bildungstrümmern (Marc Aurel, Paul Watzlawick, Viktor Frankl, Goethe), Banalitäten, Anbiederung („Ich war in einem Kurs bei Eckhart Tolle“) und Eitelkeit („Mein Buch ist das erfolgreichste im Segment Lebenshilfe 2022“).
Meister der Ja-Kette
Er schwadronierte von „erlernter Hilfslosigkeit“ (dreimal mit dem falschen Fugen-s, also kein Versprecher) und prügelte immer wieder auf unseren ach so bösen Verstand ein (Überdosis Tolle!), der uns das Leben schwer mache. Dabei hätte Mankevich eine große Portion Verstand helfen können, nicht so viel Unsinn zu reden.
Maxim Mankevich ist ein Meister der Ja-Kette. Die Ja-Kette wird jedem Versicherungs– und Staubsauger-Vertreter eingebläut, damit er Abschlüsse macht. Das Vorgehen: Einige unwichtige Fragen stellen, die das Gegenüber mit „ja“ beantwortet, denn jedes Ja senkt die Wahrscheinlichkeit eines Nein, so daß das Opfer dieser Manipulation schließlich etwas kauft, was es gar nicht kaufen will. Am Ende solcher Ja-Ketten führen sogar irrsinnige Fragen wie „Wollt ihr den totalen Krieg?“ zu einem begeisterten JA. Joseph G. wußte genau, was er tat …
Beispiel Mankevich: „Habt ihr heute morgen geduscht? JA oder NEIN?“ JA tönt es aus dem Saal. „Kennt Ihr Eckhart Tolle?“ – „JA!“ Alle 2-3 Minuten feuert Mankevich so eine gebrüllte „JA-ODER-NEIN?“-Salve ins Publikum, bis dieses völlig wehrlos ist und ihm aus der Hand frißt.
Zusätzlich verlangt Mankevich bei „ja“ ein Handzeichen vom Publikum – welch souveräne „Kombination aus Kompetenz und Integrität“ (Lobpreis Veit Lindau), wie „weise, beindruckend, inspirierend, genial (Lobpreis Dieter Lange). Der Kindergarten läßt grüßen …
Es ist ein erschreckendes Lehrstück in Massenpsychologie, das Mankevich hier mit 800 Leuten aufführt. Wie entsetzlich einfach es ist, die Intelligenz von Menschen in einer Gruppe unter ihre Individual-Intelligenz zu drücken. Der Saal gibt Genie-Maxim immer wieder ein tobendes „JA!“ – und der füllt damit selbstgefällig grinsend sein Manipulations-Konto.
Der „geniale“ Höhepunkt: Werthers Revolver
Der sabbernde Masochismus des Publikums wächst mit jeder Minute: „Mach mit uns, was du willst! Wir glauben dir alles!“ ist die Stimmung im Saal. Die Leute sind begeistert, wenn Sie „ja“ schreien dürfen. Jedes Wort der Kritik – ich kann mir ab und an einen Zwischenruf nicht verkneifen – führt zu bösen Blicken.
Als Mankevich dann erzählt, Goethes Werther habe sich 1774 mit einem Revolver erschossen, reißt mir der Geduldsfaden, denn Samuel Colt hat den Revolver erst in den 1830er-Jahren erfunden. Das war’s, Maxim. Du hattest deine Chance. Kurz nach dieser Genie-Leistung war Pause und ich bin gegangen. In ein Café um die Ecke.
Dort, bei einem Stück Waldbeeren-Torte und einem Milchkaffee (beides zusammen kostete weniger als ein Kaffee in München – wir sind eben nördlich des Limes, Zivilisation hat ihren Preis), erlebte ich folgende Szene:
Ein Renterpaar am Nebentisch fragt die Kellnerin: „Was ist denn da in der Halle los? Da sind so viele Leute.“ Die Kellnerin: „Da ist ’ne Veranstaltung, in der den Leuten gezeigt wird, wie sie besser miteinander auskommen.“ Darauf der Mann des Paares: „Also Blabla!“ Die Frau ergänzt: „Wir sind jetzt bald fünfzig Jahre zusammen und haben so was nie gebraucht. Es ist ein Geben und Nehmen, das ist das Geheimnis.“
Still grinsend genieße ich dieses Dramolett am Nebentisch – und freue mich über den genialen Alltagsverstand dieses Paares. Nördlich des Limes scheint es doch nicht so finster zu sein, wie ich dachte …
Wenn die Sonne der Kultur tief steht, werfen auch Zwerge lange Schatten. Maxim Mankevichs Schatten ist sehr lang, denn bei uns steht die Kultur-Sonne mittlerweile sehr tief. Das zeigt der Blick auf die „Spiegel“–Bestseller-Liste jede Woche.
Ich bestelle ein zweites Stück Waldbeeren-Torte, rauche eine „Toscanello Giallo“ (ihr Vanille-Duft ist ein Stimmungsaufheller, den ich nach Genie-Maxims Schmierentheater nötig habe) und komme so langsam darüber hinweg, daß es mal wieder nichts war mit meiner Geniewerdung. Vielleicht sollte ich statt dessen Top-Speaker werden?
25. April 2023