Mehr Komfortzone, bitte. Viel mehr!
Es lebe die Komfortzone! Wir brauchen sie. Doch viele haben keine mehr – das raubt ihnen die Lebensfreude.
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Die Komfortzone gehört zu den Gemeinplätzen im Coaching. Nur, wer die Komfortzone verlasse, könne wachsen und sich weiterentwickeln. Also sei es die Aufgabe des Coaches, den Klienten aus der Komfortzone zu holen, auch wenn das schmerzhaft sei.
Das stimmt manchmal, keine Frage. Doch es stimmt eben nur manchmal. Denn viele Menschen – und nach meiner Beobachtung werde es immer mehr – haben keine Komfortzone. Überhaupt keine. Denen mit einem Verlassen der Komfortzone zu kommen, ist so, als würde ich zu jemand, der schon nackt ist, sagen: „Machen Sie sich mal frei“. Der kann sich nur noch die Haut vom Leibe reißen …
Vor einigen Tagen hatte ich folgenden Erstkontakt mit einer Klientin. Kaum hatte ich am Telefon meinen Namen gesagt, sprudelte sie los: „Mein Vater ist vor ein paar Wochen gestorben, meine Mutter ist 93, hat Alzheimer und wird von mir betreut, meine Tochter hat schwere Depressionen, und ich habe MS – kann ich zu ihnen kommen?“Soll ich dieser gequälten Seele sagen: „Ja, kommen Sie übermorgen, dann hol ich sie aus ihrer Komfortzone raus, in der sie sich’s gemütlich gemacht haben“? Diese Frau ist ohne Mitte, hat keinen Zugang zu sich, spürt sich selbst nicht mehr. Sie hat das Gefühl, an allen Ecken und Enden ihrer Person nagt, frißt und beißt jemand an ihr, so daß bald nichts mehr von ihr übrig ist. Wie das halt so ist, wenn man sich’s in der Komfortzone kuschelig eingerichtet hat …
Das kann jeder in Videos wie „Komfortzone wirkungsvoll verlassen“ oder „Anti-Komfortzone-Training“ von Super-Coaches-Trainern-Speakern sehen. Die Suche nach „Video Komfortzone“ ergibt rund 6,5 Millionen Treffer!Was geschah in der Erstsitzung mit dieser Klientin? Wir haben ganz sanft begonnen, eine Komfortzone wachsen zu lassen. Diese Passivkonstruktion habe ich – wiewohl stilistisch fragwürdig – ganz bewußt gewählt. Denn gemachte Komfortzonen taugen nichts – außer für Super-Coaches-Trainer-Speaker, die jeden Morgen vor dem Spiegel stehen und sich ein „Du bist super! Du schaffst alles!“ entgegenbrüllen …
Konkret „gemacht“ haben wir, die Klientin und ich, die Farbenbalance. Dabei schaut die Klientin nacheinander auf die Farben der Fünf Elemente – also auf Grün, Rot, Gelb, Weiß, Blau. Sonst macht sie nichts. Ich berühre währendessen ihre beiden Stirnpunkte „yáng bái“ – Leuchtendes Yang.
Diese Punkte liegen auf dem Gallenblasen-Meridian und lösen Gedanken-Lähmungen, klären trübe Stimmungen, geben Kraft für Entscheidungen und neues Wachstum. Danach leuchten die Augen wieder, weil sich neue hoffnungsvolle Perspektiven eröffnet haben.Und dann lassen wir geschehen, was geschehen will. Die Farben tun ihr Werk. Unterhalb des Radars von Verstand, Zensoren und Saboteuren. Was dann geschieht, ist umgekehrt proportional zum äußeren Geschehen dieser Intervention: Wir machen so gut wie nichts – doch es tut sich ganz viel! In der Tiefe der Persönlichkeit.
Bei meiner Klientin war das vor allem beim Gelb, also im Erd-Element, in der Mitte. Da werden wir genährt, da brauchen wir Verläßlichkeit und Stabilität – und da war bei der Klientin energetisch ein Nichts, da sie alle anderen nährt, sich selbst aber nicht. Im Gelb kommt sie wieder in Kontakt mit sich, spürt, daß sie auch noch da ist – und vor allem, daß sie auch wichtig ist. Da wächst nun – endlich! – ihre Komfortzone. In einer Wildwasser-Klamm kann man nicht schwimmen lernen. Außer man ist ein Super-Coach-Trainer-Speaker …26. März 2023