Humor und Intelligenz. Geht das zusammen?

Was taugt Chat GPT? Es ist kleinkariert, redet Unsinn und will mich belehren, wie ich zu denken habe.

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Gehen Humor und Intelligenz zusammen? Nicht, wenn die Intelligenz künstlich ist. Seit Wochen pfeift es in allen Medien: Die künstliche Intelligenz ist da, in Gestalt von „Chat GPT“. Sie sei überzeugend und produziere in ein paar Sekunden sehr gute Texte zu allen möglichen Themen von Backrezepten bis zu Seminararbeiten über das barocke Trauerspiel.

All die Journalisten, die Chat GPT preisen und über „fast perfekte Texte“ und eine „tiefgreifende Verständnisfähigkeit“ jubilieren, haben wohl nicht selbst damit gearbeitet, sondern – in bewährter Journalisten-Manier – irgendwo abgeschrieben oder die Pressemeldung blind übernommen. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe viele Jahre als Journalist gearbeitet und kenne die Gepflogenheiten in diesem Metier.

Nun pfeife ich in Sachen Chat GPT auch noch mit. Der Anlaß: Eine befreundete Heilpraktikerin bat mich, einen von Chat GPT erstellten Text für ihre Internetseite Korrektur zu lesen. Dieser Text war miserabel. Sprachlich, stilistisch und von der Gliederung her war falsch, was man falsch machen kann. So wie Programmierer halt schreiben, wenn sie Normalsprache benutzen müssen und nicht Quellcode.

Drei Stunden habe ich gebraucht, um eine A4-Seite lesbar zu bekommen. Neuschreiben wäre schneller gegangen. Nach dieser Erfahrung wollte ich es genau wissen und habe diese künstliche „Intelligenz“ selbst ausprobiert – unter dem Aspekt, ob sie persönliches Wachstum befördert, denn darum geht es mir.

Mein Urteil in Kürze: „Garbage in, garbage out“ – um es im Informatiker-Deutsch zu sagen. Ein Beispiel: Ich habe Chat GPT eine einfache Frage zu Yin und Yang gestellt. Hier die Antwort des Programms:

In der TCM wird angenommen, daß bestimmte Organe mehr Yin- oder Yang-Energie haben. Zum Beispiel wird die Leber als Yang-Organ angesehen. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass diese Konzepte auf einem philosophischen Verständnis des Körpers und der Welt basieren und nicht auf wissenschaftlichen Fakten oder Beweisen.“ (Fettungen von mir.)

Diese Antwort ist falsch. In jeder Hinsicht. Erstens, weil die Leber kein Yang-Organ ist, sondern ein Yin-Organ ist. Zweitens, weil auch die angeführten „wissenschaftlichen Fakten“ auf einem „philosophischen Verständnis von Körper und Welt“ basieren. Die Prämissen des „wissenschaftlichen Weltbildes sind selbst nicht wissenschaftlich begründbar, sondern beruhen auf philosophischen Grundannahmen, die als wahr angenommen werden. Genau wie in der TCM, der traditionellen chinesischen Medizin. Das ist also kein stichhaltiger Einwand gegen die TCM.

Folglich sagte ich zu Chat GPT: „Die Antwort ist falsch. Die Leber ist ein Yin-Organ“.

Antwort: „Es tut mir leid, Sie haben recht. Ich korrigiere meine vorherige Antwort. In der traditionellen chinesischen Medizin wird die Leber als Yin-Organ betrachtet.“ Immerhin etwas, dieses Eingeständnis eines Fehlers, das können viele Träger natürlicher Intelligenz nicht. Aber das ist nicht der Sinn des Ganzen.

Zudem gibt das Programm stets seinen wertenden Senf dazu – wiewohl es „wissenschaftliche Objektivität“ für sich in Anspruch nimmt. Diese ideologischen Wertungen, die Ausdruck des begrenzten Horizonts der Programmierer sind, kommen immer mit der Floskel „Es ist jedoch wichtig zu beachten“ daher.

Das ist kleinkariert-zwanghafte Belehrung – entsprungen bleichgesichtigen, ungelüfteten Nerd-Hirnen. Der Begriff „Intelligenz“ ist hier nicht angebracht.

Damit bin ich bei den Urhebern dieser Art von „Intelligenz“, den Programmierern. Die können vieles, doch mit Denken, der „Arbeit des Begriffs“ (Hegel), tun sie sich meiner Erfahrung nach schwer. In grauer Vorzeit, also in den frühen 1980er Jahren, hab ich mal Informatik studiert und schnell gemerkt, daß Programmieren nichts weiter ist als das Koordinieren von Abläufen. Nur Buchhaltung ist noch langweiliger

Ich habe dann Informatik Informatik sein lassen und was Gescheites studiert: Philosophie – mithin: Denken. Also das, was Programmieren nicht ist. Das sieht man daran, daß Chat GPT brauchbaren Programm-Code erstellen kann, aber keinen stringenten Text zu einem Thema, das mehr verlangt als die Anhäufung von Zahlen, Daten und Fakten.

Und selbst da versagt Chat GPT oft. So behauptet es über mich: „Wolfgang Halder ist der Gründer der ‚Akademie für angewandte Kinesiologie‘, die Kurse und Ausbildungen in angewandter Kinesiologie anbietet. Er hat auch eine eigene Methode entwickelt, die er ‚Neurokinetik‘ nennt. Halder ist auch als Referent auf verschiedenen Konferenzen und Veranstaltungen im Bereich Naturheilkunde tätig.

Über diese Antwort habe ich mich geärgert (eine Funktion des Yin-Organs Leber!), denn das Behauptete ist Bullshit, Schmarrn, Unsinn. Alles falsch. So hämmerte ich folgendes in die Tasten und Chat GPT um die digitalen Ohren: „Ich halte dich für ziemlich blöd.“ – Seltsam übrigens, daß ich das System gedutzt habe …

Antwort: „Ich bin ein Computerprogramm und habe keine Gefühle, daher kann ich weder beleidigt noch geschmeichelt sein. Meine Aufgabe ist es, dir bei Fragen und Problemen zu helfen.Humor hat die künstliche „Intelligenz“ also auch nicht …

Mein Fazit zu Chat GPT: Das Programm hat durchaus ansehnliche syntaktische Fähigkeiten. Und die werden uns als „Intelligenz“ verkauft. Doch Intelligenz, die diesen Namen verdient, spielt sich auf der semantischen Ebene, der Bedeutungsebene ab. Und da hat Chat GPT nichts zu bieten. Anders gesagt: Das Programm weiß, wie man spricht, doch es weiß nicht, wovon es spricht. Dafür müßte es intelligent sein …

Es eignet sich zum schnellen Erstellen von Fleiß-Texten wie Arztbriefen, Anwalts-Schriftsätzen und Behörden-Bescheiden, doch wenn es um Gedanken geht, muß dieses Programm passen, denn es hat keine. Mit Chat GPT kann man sich einen verregneten Sonntag-Nachmittag lang befassen – doch es verliert schnell seinen Reiz.

Da lese ich lieber ein bißchen Wittgenstein, denn der ermöglicht persönliches Wachstum. Er hat seinen „Philosophischen Untersuchungen“ dieses Nestroy-Zitat vorangestellt, das die Sache mit der künstlichen „Intelligenz“ auf den Punkt bringt: „Überhaupt hat der Fortschritt das an sich, daß er viel größer ausschaut, als er wirklich ist.Der Kaiser ist nackt.

26. Februar 2023