Hurra, ich habe eine Krankheit!

Ungewißheit quält uns. Wir lieben eindeutige „Diagnosen“, auch wenn sie hart sind. Und identifizieren uns mit unserer Krankheit.

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Endlich hat das Kind einen Namen!“ sagte die Klientin im Erstgespräch mit einem Seufzer der Erleichterung. Monatelang war sie unterwegs von einem Arzt zum nächsten, nun hat sie seit ein paar Tagen endlich die Diagnose für ihre Beschwerden: „Rheumatoide Arthritis“.

Nach langer Zeit voller Ungewißheit tut Gewißheit gut. Denn Ungreifbares und Unbenennbares machen uns mehr Angst als eine konkrete Krankheit. Der Rumpelstilzchen-Effekt: Es hat nur so lange Macht, so lange niemand seinen Namen weiß.Doch die Erleichterung darüber, endlich zu wissen, woran man leidet, birgt eine Gefahr: Wir identifizieren uns mit unserer Krankheit. Sie wird Teil unseres Selbst. Und wenn etwas Teil von uns ist, trennen wir uns nur ungern davon. Wir hängen dann an unserer Krankheit. Wir sind die Krankheit. Wir nehmen uns selbst in den Kategorien der Krankenhaus-Logik wahr – „Die Beckenfraktur in Zimmer 6“.  Das erschwert die Gesundung.Diagnosen dienen zunächst einmal dem Medizinbetrieb. Hat man eine, wissen Ärzte und Verwaltung, welche Abteilung zuständig ist, wer was wie abrechnen kann und wo die Akte abgelegt werden muß. Und man ist versicherungsrechtlich auf der sicheren Seite – das ist besonders wichtig.Meiner Klientin hatte der Arzt zudem versichert, daß sie nie mehr ohne Schmerzen sein werde. Schöne Aussichten, wenn man Ende Vierzig ist. Und welch hellseherischen Fähigkeiten da am Werke sind …Als die Klientin drei Wochen nach unserer ersten Kinesiologie-Sitzung wieder bei mir ist, berichtet sie von einem seltsamen Phänomen: „Ich sitze am Schreibtisch, und irgendwas kommt mir komisch vor. Plötzlich wird mir bewußt, was gar nicht sein dürfte: Ich bin schmerzfrei! Weil ich mir – auf Ihren Hinweis hin – den Diagnose-Schuh nie wieder ohne Schmerzen erst gar nicht angezogen habe“.Wie sehr uns eine Diagnose blockieren kann, lesen Sie in meiner Fallgeschichte über einen Mann, der sich viele Jahrzehnte lang mit seiner Diagnose identifizierte – und deshalb behindert war.

27. November 2022