Blabla-Coaching – das neue Normal

Kann man Unsinn messen? Ja: ganz einfach mit dem Blabla-Meter. Beim Coaching-Kongreß 2022 meldete es ganz viel heiße Luft.

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Am 11. und 12. November fand in Berlin der Coaching-Kongreß 2022 statt. Das Motto lautete „Next Level of Culture and Transformation“. Versprochen wurde: „Inspirierende Formate & Menschen über das ,new normal’ in Arbeitswelt & Business Coaching.Wer auch nur ein Fünkchen Sprachgefühl hat, der schüttelt sich ob solcher Verbal-Monstrositäten mit Grausen; alle anderen fühlen sich jung und modern. Inhaltlich war der Kongreß die übliche Mischung aus Hirnforschung, Digital-Hysterie und Allgemeinplätzen.Ich hab’ mir das Vergnügen gemacht, die Ankündigungs-Texte des Kongresses durchs Blabla-Meter zu jagen. Das ist ein kostenloser Internet-Dienst, mit dem man Texte auf ihren Gehalt an heißer Luft prüfen kann. Alle, ausnahmslos alle Texte bekamen solche Bewertungen:„Sie müssen PR-Profi, Politiker, Unternehmensberater oder Universitätsprofessor sein. Sollten Sie eine echte Botschaft transportieren wollen, so erscheint es fraglich, ob diese Ihre Leser auch erreicht.“„Es stinkt gewaltig nach heißer Luft! Beim Eindruck schinden sollten Sie Ihre Aussage nicht vergessen.“„Ihr Text signalisiert deutlich: Sie wollen etwas verkaufen oder jemanden tief beeindrucken. Es wirkt unwahrscheinlich, daß damit auch eine klare Aussage verbunden ist.Der Coaching-Kongreß 2022 bestand mithin aus viel heißer Luft. Dazu fällt mir ein Bonmot von Karl Kraus ein: „Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben, man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken“. Daran müssen viele Business-Coaches noch arbeiten. Irgendein Hirnforschungs-Professor hilft ihnen bestimmt gern dabei …Nach meiner Erfahrung sind viele Coaches stolz darauf, wenn sie auch so sinnfrei dahersülzen können wie die Platzhirsche der Branche, die bei diesem Kongreß versammelt waren. Deshalb hat Coaching so einen schlechten Ruf.Kürzlich hatte ich im kleinen Einfrau-Café „Seeliebe“ am Starnberger See eine aufschlußreiche Begegnung. Die Betreiberin musste wegen dringender Amtsgeschäfte schnell in den Ort und bat mich um Geduld, bis sie mir Kaffee und Kuchen servieren könne. Da ich nicht auf der Flucht war, sondern zum Vergnügen durch die Gegend radelte, setzte ich mich in die Sonne, genoß den Blick über den See und wartete auf die Rückkehr der Café-Betreiberin.Während ich so vor mich hin träumte, kam ein Pulk Rennradfahrer und machte Station. Fünf Herren in den Fünfzigern, besser ausgerüstet als jeder Tour-de-France-Profi, allesamt mit dem Habitus gut bezahlter Führungskräfte. Ich sagte Ihnen, daß sie etwas warten müssten, bis die Betreiberin wieder da sei. „Kein Problem“, tönte es mit kerniger Entscheider-Stimme zurück.Nach etwa 3,78 Minuten wurde das Warten für die Herren doch zum Problem „Laßt uns weiterfahren! Bis die wiederkommt, ist ja Weihnachten“, sagte das Ober-Alpha-Männchen – die anderen gehorchten.Als Frau Seeliebe nach einer halben Stunde zurück kam, war sie hoch erstaunt, mich noch vorzufinden. „Sie haben aber Geduld, das ist selten“, sagte sie, als sie mir einen Heidelbeerkuchen servierte.„Geduld gehört zu meiner Arbeit“, antwortete ich und gab ihr meine Karte. „Ah, Coaching. Was macht man da eigentlich, außer zu labern?“, fragte sie mich provokant und rhetorisch zugleich.„Tja“, sagte ich, „ich warte geduldig, bis der Klient aus sich heraus die Lösung findet, die er von mir gern als Experten-Ratschlag gehört hätte und von der ich keine Ahnung habe“.Zugleich dachte ich: Die Rennradler geben bestimmt viel Geld für sogenannte Business-Coachings aus, die mit Transformations-, Change– und Culture-Phrasen vollgestopft sind und bei denen der Coach schon im vorhinein ganz genau zu wissen meint, was seine Klienten brauchen.Mit etwas Marketing-Geschwätz hätte ich denen bestimmt einen Workshop verkaufen können, etwa so: „Finden Sie Ihren Purpose in Geduld und Stille – und verdoppeln Sie ihren Umsatz“. Inhalt: eine Stunde schweigend warten unter Anleitung des Coaches. Für nur 690 Euro!Statt dessen hab’ ich mich im Café „Seeliebe“ vom Nachsommer-Glitzern des Starnberger Sees betören lassen und noch ein zweites Stück Kuchen gegessen. Eine gute Entscheidung.

13. November 2022